Eine Anekdote zum Schmunzeln

„Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Mt. 18, 20

Ein Erfahrungsbericht:

Die drei waren an diesem wunderschönen Sonntagmorgen im Juni die Organistin Frau Eva L. de Bach und zwei ehrenamtliche Mitarbeiter Herr Jörgensen als Lektor und Herr Michaelis als Vertreter des sich im Urlaub befindenden Küsters. Außerdem 22 Gemeindeglieder, die sich in froher Erwartung des Gottesdienstes in ihrer Kirche „Zu den 12 Aposteln“ eingefunden hatten.

In dieser evangelischen Gemeinde, irgendwo im Abendland, standen große Veränderungen an. So war in der Woche zuvor bekannt geworden, dass die Kirche „Zu den 12 Aposteln“ nicht mehr lange bestehen werde und abgerissen werden müsse. Zufällig war Herr Michaelis am Samstagabend schon in der Kirche gewesen und hatte mit Erstaunen festgestellt, dass zwar das Lektorenbuch mit dem Begrüßungsvers und den Abkündigungen in der Sakristei lag, aber an den Tafeln keine Liednummern gesteckt waren. Daraufhin nahm er den ausliegenden Gemeindebrief zur Hand (ein Heft, das unserem Rundblick entspricht) und vergewisserte sich, welcher Pfarrer den Gottesdienst halten werde. „Herr Pfarrer Stein“ stand dort für diesen Sonntag. Also griff er zum Telefon, um sich nach den Liedern zu erkundigen, erreichte aber nur den Anrufbeantworter. In dem Schaukasten vor der Kirche hing eine andere Gottesdiensteinteilung. Demnach war Herr Pfarrer Schnack für diesen Sonntag eingeteilt. Herr Schnack allerdings war nicht zu erreichen, nicht einmal ein Anrufbeantworter. „Nun gut,“ dachte sich Herr Michaelis, „schauen wir mal, welcher Pfarrer morgen kommt“, und ging nach Hause.

Am nächsten Tag, diesem wunderschönen, frühsommerlich warmen Sonntagmorgen im Juni also ging Herr Michaelis zur Kirche, schloss die Türen auf, schaltete das Licht ein und zündete die Kerzen an. Die Organistin Eva L. de Bach kam als Erste, auch extra früh, da sie auch nicht wusste, welche Lieder ausgewählt waren. Noch etwas müde und ohne zu merken, dass es sich bei der Küstervertretung um ein Mitglied ihrer Kantorei handelte, mit dem sie sich eigentlich duzte, fragte sie von hinten durch die Kirche: „Haben Sie die Lieder?“ – „Nein.“

Ein älteres Ehepaar kam in die Kirche: „Guten Tag, wir sind neu hier, wohnen im Neubaugebiet und sind aus Belgien zugezogen.“ Oh, wie schön, neue interessierte Gemeindemitglieder. Er fragte: „Ist denn heute hier Gottesdienst?“ – „Ja.“ – „Und hält den der Herr Stein? Den haben wir nämlich schon kennengelernt.“ Herr Michaelis zögerte: „Nun,“ stammelte er, „ehrlich gesagt, sind wir nicht ganz sicher, wer den Gottesdienst heute hält. Aber hier haben Sie ein Liturgieheft, um den Gottesdienst mit zu verfolgen“, versuchte er das Thema zu wechseln.

„Was machen wir denn, wenn kein Pfarrer kommt?“ fragte Frau de Bach. „Nun,“ antwortete Herr Michaelis, „dann singen wir einfach ein paar Lieder und halten die Lesung.“ Inzwischen war es zehn Minuten vor Beginn. „Ich mach jetzt die Glocken an“, murmelte Herr Michaelis und verschwand in dem Technikraum. Da kam Herr Jörgensen: „Wissen Sie, welche Lieder, welcher Pfarrer??“ – „Nein.“ Einen kurzen Augenblick schauten sich die drei in einer Mischung aus Ratlosigkeit und Verwunderung an.

Auf einen der beiden Pfarrer oder ein Wunder zu warten, schien sinnlos, und als es bereits zwei Minuten vor Beginn war, machte sich unter der Empore hektische Betriebsamkeit breit: „Also, welche Lieder passen denn zum heutigen ersten Sonntag nach Trinitatis?“ – „Herr Jörgensen, was lesen Sie denn?“ – „Wollen wir einen Psalm beten?“ – „Wann sprechen wir das Credo und das Vater Unser?“ – „Jemand muss der Gemeinde die Situation erklären.“ – „Sammeln wir Kollekte ein und wann?“

Inzwischen war es schon zwei Minuten nach dem eigentlichen Beginn. Herr Jörgensen sagte: „Ich mache mal die Glocken aus.“ – „Nein, noch nicht!“ rief Frau de Bach, „lassen sie mich erst zur Orgel hoch gehen.“ Nach dem Orgelvorspiel, während sich Herr Jörgensen den Ablauf auf einem Schmierzettel zusammen geschrieben hatte, ging Herr Michaelis nach vorne, begrüßte die Gemeinde mit dem Wochenspruch und verkündete, dass heute ein besonderer Sonntag sei. Leider sei kein Pfarrer erschienen, keiner wisse, warum, aber man habe sich gedacht, dennoch einen Gottesdienst zu feiern mit Liedern, der vorgesehenen Lesung und gemeinsamem Gebet.

„Lassen Sie uns nun gemeinsam beginnen mit dem Lied Nummer 444, Die Güldene Sonne, die Strophen 1-5.“ Frau de Bach hatte in der Aufregung aber nur an Die güld ́ne Sonne gedacht und spielte die Melodie zu Lied Nr. 449, welches ebenfalls mit diesen Worten anfängt. In dem einen bringt die Sonne Leben und Wonne, in dem anderen ist sie voll Freud und Wonne. Vom Metrum lässt sich aber der Text des einen leider nicht mit der Melodie des anderen singen. Zum Glück waren die Gemeindeglieder so gut zu Hause im Gesangbuch, dass sie richtig mitsingen konnten. Auch hat das Lied Nr. 449 ebenfalls fünf Strophen und mehr.

Der weitere Gottesdienst verlief ohne Pannen. Während des vorletzten Liedes fiel Herrn Michaelis ein, dass in dem Ablauf die Abkündigungen vergessen worden waren. Er flüsterte Herrn Jörgensen ins Ohr, dass dies wegen einer bevorstehenden Gemeindeversammlung aber doch recht wichtig sei und kurzer Hand wurden die Hinweise und die Kasualabkündigungen noch vor das Vater Unser geschoben.

Da keiner der Anwesenden zum Schluss einen Segen aussprechen wollte, hatte Frau Eva L. de Bach vorgeschlagen, mit dem Lied „Komm, Herr, segne uns“ darum zu bitten. Nach dem Gottesdienst gab es die unterschiedlichsten Reaktionen: „Erst nimmt man uns die geliebte Kirche und jetzt ist noch nicht einmal mehr ein Pfarrer da!“ Andere freuten sich über eine besinnliche Stunde mit Singen und Beten, auch ohne Predigt. Was mögen wohl die zugereisten Belgier gedacht haben? Entweder waren sie entrüstet über die Organisation in ihrer neuen Gemeinde, oder sie waren beeindruckt von der spontanen Bereitschaft zur Improvisation.

Beeindruckt war auch eine Mitarbeiterin aus dem Gemeindebüro, die nicht im Gottesdienst gewesen war, aber sah, wie die Gottesdienstbesucher deutlich früher als sonst nach Hause gingen. „Da war Herr Pfarrer Schnack aber heute besonders schnell…“ dachte sie noch bei sich.
Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Gegebenheiten oder Personen sind gewollt, aber doch rein zufällig.

Michael Carl (mit freundlicher Genehmigung)